Ausnahmen erlaubt (04.04.20)

5. April 2020

Andacht von Pastorin Bettina Bartke

Der morgige Sonntag hat den Namen „Palmarum“. Wenige Tage vor seinem Tod zieht Jesus in Jerusalem ein und wird triumphartig empfangen. Zwar macht er durch seinen Ritt auf einem Esel deutlich, dass ihm die gewaltsame Durchsetzung von Machtansprüchen fern ist, vom Volk aber wird er mit Palmzweigen und Hosianna-rufen empfangen.

Dieser öffentlichen Huldigung stellt der Evangelist Markus den sehr persönlichen Liebeserweis einer einzelnen unbekannten Frau zur Seite.

Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. 6 Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. 9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

Jesus hat Recht behalten. Bis heute wird diese Geschichte erzählt, dieses Ereignis, als er sich ein letztes Mal schützend jemandem zur Seite stellt. Im Hause eines von ihm geheilten Mannes, namens Simon, ist er gemeinsam mit seinen Jüngern und anderen Gästen zum Essen eingeladen.

Für ihn ein letzter Moment der Stille, bevor die Erde zu beben beginnt.

Das aber scheint niemand zu ahnen, außer Jesus allein. Die Jünger sind noch erfüllt vom pompösen Empfang, den man ihnen wenige Kilometer entfernt vor einigen Tagen in Jerusalem bereitet hatte. Doch dann ist da diese Frau.

Sie bleibt namenlos, und sie macht keine großen Worte. Dafür ist die einzige, die zu ahnen scheint, wie mutterseelenallein er sich jetzt fühlt.

Wir wissen nichts über sie, aber sie weiß, was sie will.

Sie zerbricht das Fläschchen mit kostbarem Nardenöl und salbt Jesus das Haupt. Sie macht das, was sonst nur Königen zugutekommt, oder Toten.

Die anderen verstummen vor Entsetzen, allein der Duft des Öls verbreitet sich im Raum und beginnt, sich mit dem des Weins zu vermischen.

Dann spricht einer aus, was alle denken: Was soll diese Vergeudung?

Jesus aber greift ein und sagt: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.

Hätte sie ihn um die Segnung ihres Kindes gebeten, die Jünger hätten gemurrt, seine Reaktion aber dennoch akzeptiert. Hätte sie ihn gebeten, ihren Sohn zu heilen, die Jünger hätten die Augen gerollt und doch einfach nur abgewartet.

Nicht aber die Verschwendung von Geld! Hatte er nicht mit dem Gleichnis vom reichen Jüngling, der sein Geld den Armen geben sollte, genau das Gegenteil gesagt?

Jetzt aber müssen sie lernen, dass es unberechenbaren Situationen geben kann, die nicht dazu da sind, allgemein gültige neue Haushaltsregeln aufzustellen.

Auch wir machen momentan die Erfahrung: Denn auch in der Corona-krise werden vom Staat finanzielle Unterstützungen bewilligt, die allein mit der außergewöhnlichen Situation zu begründen sind.

Auch unsere Tendenz, angesichts der Summen von Verschwendung zu sprechen, wird von der Bedrohung mit dem tödlichen Virus ausgebremst.

Dadurch gewinnen Viele von uns aber auch ein Stück Freiheit.

Die Freiheit, unseren Telefonaten und Briefen und Gebeten und gegenseitigen Ermutigungen mehr Priorität einzuräumen als dem Ärger über den finanziellen Verlust durch den Ausfall des schon gebuchten Osterurlaubs, wenn es „ das nur ist“.

Jesus sagt: „Ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.“ Damit macht er deutlich, was er unter Gerechtigkeit versteht: nicht, dass alle gleich viel oder gleich wenig bekommen, sondern das, was individuell gerade notwendig ist.

Dafür aber brauchen Menschen ein Gespür für die Situation: momentan für die wirtschaftliche Situation derer, die gerade ihre Existenz verlieren ebenso wie für die Kontakte, nach denen sich Menschen sehnen, die einsam sind.

Allgemein gültige Regeln lassen sich in dieser Ausnahmesituation der Krise nur begrenzt aufstellen. Jesus sagt nicht, dass es immer richtig sei, Öl zu verschwenden, anstatt das Geld den Armen zu geben.

So darf auch der Glaube nicht nur aus Regeln bestehen, sondern er braucht auch Raum für Spontaneität und für das, was andere unter anderen Umständen als unvernünftig kritisieren. Nicht umsonst wird der Glaube an den Gekreuzigten in den ersten Jahrzehnten nach Jesu Tod für viele mit Torheit bezeichnet. Für uns aber ist es eine Gotteskraft.

Bitten wir ihn darum, im Glauben daran zu bleiben. Amen

Weitere Artikel

Predigt zu Exaudi 2020, Jer 31,31-34

Pape Michael, 23. May 2020

Verfasst von Pn Bettina Bartke

Wenn wir uns vorstellen, wie sich die Jünger an diesem Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten gefühlt haben müssen, dann befindet sich ihre Stimmung...

Predigt zu Christi Himmelfahrt 2020 (21.05.2020)

Pape Michael, 20. May 2020

Verfasst von Bettina Bartke,Pn

Himmelfahrtsgottesdienste werden in den meisten Gemeinden seit Jahren traditionell unter freiem Himmel gefeiert. Aber auch andere open Air Gottesdienste...

Rogate 2020, Joh 16

Pape Michael, 15. May 2020

Beten ist eine Grundgeste jeden Glaubens.

Es ist die Pflege der Beziehung zu Gott als einem persönlichen und doch transzendenten Vater, dem wir uns zuwenden.

Meistens nehmen wir...

Andacht für Sonntag Kantate (05.05.2020)

Pape Michael, 8. May 2020

Verfasst von Pastorin Bettina Bartke

Der Anfangsvers des diesem Sonntag zugeordneten Psalms gibt den Ton an, auf den dieser Sonntag gestimmt sein soll: Kantate: „singet dem Herrn ein neues...

Andacht zu Jubilate, Joh 15,1-8 (03.05.2020)

Pape Michael, 30. April 2020

Verfasst von Pastorin Bettina Bartke

Wenn wir uns auf privaten Sendern einen Film oder eine Unterhaltungsshow ansehen, dann wird das Programm durch viele Werbeblöcke unterbrochen. Damit...

Andacht zum 2. Sonntag nach Ostern Misericordias domini (23.04.2020)

Pape Michael, 24. April 2020

Verfasst von Pastorin Bettina Bartke

Jeder von uns kennt den 23. Psalm. Das Gebet von Gott, der uns wie ein guter Hirte auf einer grünen Aue weidet, zum frischen Wasser und durchs finstere...

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Hier erfahren Sie alles zum Datenschutz